„Aber jeder Stein, bei dem die Leute nicht wissen, was er darstellen soll, ist sowieso ein ,Denk-mal-darüber-nach’.“
 
Düren hat sich über vierzig Jahre Zeit gelassen, bevor sich die Verantwortlichen jenem Teil ihrer Vergangenheit stellten, der auch hier so grausame und noch immer sichtbare Spuren hinterlassen hat. Trotz wiederholter Anstöße, jene Zeit aufzuarbeiten und vor allem der nachwachsenden Generation Aufklärung und Anschauung über die Ursachen, den Verlauf und das Erbe der tausendjährigen Barbarei zu vermitteln, hat man sich konsequent dieser Aufgabe entzogen und statt dessen in alljährlichen Trauerfeiern zum 16. November öffentlich, aber unverbindlich sein Kontingent an Betroffenheit verbraucht.
Mit den politischen Veränderungen der 80er Jahre in Düren, aber auch dem allseits spürbaren Bemühen vor allem jüngerer historisch Interessierter kam Bewegung in diese starre Mauer des Schweigens. Wer sich allerdings mit der Zeit des Nationalsozialismus in Düren beschäftigen wollte, der stellte sehr schnell fest, dass dies ein äußerst mühseliges Unterfangen werden würde. Weder gab es nennenswerte Voruntersuchungen seitens der sonst so rührigen Dürener Lokalgeschichtsschreiber, noch hatte man sich bemüht, die über den 16. November 1944 herübergeretteten Quellen und Dokumente aufzubereiten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man sich weder um die rechtzeitige Befragung von Zeitzeugen noch um die Sicherung evtl. vorhandener Nachlässe gekümmert hatte. Auf diese Weise gingen unschätzbare Kenntnisse, Erfahrungen und Erinnerungen verloren.

So ist dieser „Stelen-Führer“ nur ein erster bescheidener Versuch zu erklären, was die zehn Stelen an ihren jeweiligen Standorten zu bedeuten haben, warum sie dort stehen und an was sie erinnern. Er soll einen Beitrag leisten zum Verständnis dieses Mahnmals, das so scheinbar „unerklärt“ auf Dürener Straßen und Plätzen herumsteht und bei vielen Betrachtern Unmut, Kopfschütteln, schlimmstenfalls Gleichgültigkeit hervorruft.
Wir verzichten dabei bewusst auf eine Auseinandersetzung mit der künstlerischen Dimension dieses Werkes von Ulrich Rückriem. Dazu mögen andere berufen sein.

An dieser Stelle sei nur kurz auf die „Entstehungsgeschichte“ dieses in Konzept und Ausführung einzigartigen Mahnmals eingegangen.
Diese Geschichte reicht, genau genommen, fast 25 Jahre zurück. Bereits im Jahre 1965 stellte die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)“ an den Stadtrat den (folgenlosen) Antrag, ein Mahnmal für die Opfer des NS-Regimes in Düren zu errichten.
20 Jahre später wird diese Idee von der „Dürener Friedensinitiative“ wieder aufgegriffen, die gleichzeitig fordert, die Geschichte der Nazizeit in Düren aufzuarbeiten. Der Antrag findet endlich bei den Politikern breite Unterstützung, und man beschließt, einen parallel laufenden Wettbewerb für Künstler und Dürener Schüler zur Gestaltung eines Mahnmals auszuschreiben.
Im März 1988 kommt die Jury des Wettbewerbs jedoch zu dem Ergebnis, dass keins der insgesamt 128 eingereichten Modelle preiswürdig und damit realisierbar sei, der Wettbewerb ist gescheitert.
Zu diesem Zeitpunkt erinnert man sich wieder des berühmten Dürener Sohnes Ulrich Rückriem, der bereits ein fertiges Modell für ein solches Mahnmal, ursprünglich für die Städte Bonn und New York entwickelt, vorgelegt hatte. Es handelte sich um ein 25 x 25 Meter großes Steingeviert mit insgesamt 18 Säulen, dessen Verwirklichung 800.000 Mark kosten sollte.
Nicht nur dieser Preis lässt die Stadt von diesem Konzept Abstand nehmen. Aber man bleibt mit Rückriem im Gespräch, und nach langen Diskussionen, nicht ohne politischen Hintergrund, einigt man sich auf das schließlich realisierte Modell: Ein dezentralisiertes Mahnmal, das das ganze Stadtgebiet zu einem Raum des Gedenkens machen soll. An inhaltlich wichtigen Bezugspunkten sollen insgesamt 10 quadratische Säulen aus Granitgestein aufgestellt werden, 5 m hoch, davon 1 m unterirdisch, und mit einer Kantenlänge von 1,10 m.
Die Stelen sind unterschiedlich strukturiert: Auseinandergeschnitten und aus Einzelteilen wieder zusammengesetzt, hat jede ihren unverwechselbaren Charakter, selbst wenn dies auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Auch das Gestein selber ist geschichtsträchtig: Aus dem gleichen Steinbruch hatten die Nazis den Baustoff für ihre Nürnberger Parteitagskulisse geholt.

Düren hat in der Zeit des „Dritten Reiches“ nicht über seine Stadtgrenzen hinaus Geschichte gemacht. Entsprechend bezeichnen die Stelen Orte des ganz „alltäglichen“ Faschismus, wie er sich überall im Reich abspielte: Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung, Misshandlung und Folterung der politisch Oppositionellen, den Schrecken der sog. „Euthanasie“, Straf- und Arbeitslager, schließlich das bis heute nicht gesühnte kollektive Verbrechen der „Rechtsprechung“ im Nationalsozialismus.

Insgesamt zwei Jahre, von November 1988 bis September 1990, hat es gedauert, bis alle Stelen errichtet waren. Sie bilden in ihrer Gesamtheit sicher eine eindrucksvolle Kette von „Steinen des Anstoßes“, erfüllen also ihren Zweck. Da ist es relativ nebensächlich, dass einige Standorte nicht exakt den historischen Gegebenheiten entsprechen (z.B. Schützenstraße, Wernersstraße). Bedeutender erscheint schon die Tatsache, dass einige unangenehme Fragen (zwangsläufig?) ausgeklammert wurden, so z.B. das frühe Engagement namhafter Dürener Industrieller für den Nationalsozialismus. Eine Stele hätte so mit Sicherheit vor den Toren eines bekannten Dürener Unternehmens stehen müssen, das schon 1932 der SA auf seinem Gelände einen Versammlungsraum zur Verfügung stellte und auch sonst reichlich Hilfe anbot.
Eine weitere Stele hätte man dem Kapitel „Dürener Schulen“ widmen können. Manch stolze Pressemeldung verkündet in der ersten Zeit des „Dritten Reiches“, diese und jene Schule sei fest in der Hand der Hitler-Jugend, was mit der feierlichen Hissung der HJ-Flagge auf dem Schulgelände „belohnt“ wurde.
An historischen Anlässen für eine Reihe weiterer Stelen, das ist sicher, wäre kein Mangel.
Bei aller Kritik im Detail jedoch, das sei hier gesagt, bieten die Rückriem-Stelen die große Chance, die auch in Düren lange vernachlässigte Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit produktiv in Angriff zu nehmen. Ziel einer solchen Auseinandersetzung kann jedoch nur sein, mit Hilfe einer möglichst lückenloser Erforschung der historischen Tatsachen einerseits den Opfern des Nationalsozialismus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, andererseits sich aber auch gegenüber möglichen neuen Tätern zu wappnen. Und dass dies nötig ist, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen.