10.11.1938
Im ganzen Reich organisierte Ausschreitungen gegen die Juden („Reichskristallnacht“). In Düren werden Läden zerstört und geplündert, die Synagoge in Brand gesetzt und 26 Männer in die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen deportiert.
Domsta, Hans J. (Hg.), Die „Reichskristallnacht“ in Düren. Tagebuchaufzeichnungen eines Augenzeugen [Lambert Derichs], in: DGBll. 74, 1985, S. 61-70; Repgen, Konrad, Ein belgischer Augenzeuge der Judenpogrome im November 1938 in Köln, in: Festgabe Heinz Hürten zum 60. Geburtstag, hrgg. von Harald Dickerhoff, Frankfurt am Main 1988, S. 409; Naor/Robrock, S. 65; Domsta/Krebs/Krobb, Zeittafel, S. 205
10.11.1938
1938, nach der „Kristallnacht“, wurden alle männlichen jüdischen Bürger aus Gey, die das 16. Lebensjahr überschritten hatten, in ein Konzentrationslager gebracht, aus dem sie im Dezember des gleichen Jahres zurückkehrten.
Erich Meyer in: Müller, Regina, S. 189
10.11.1938
Dann kam jene Nacht des Erschreckens, die viel besser als unsere aufdringlichen Lieder die Erwachsenen aus ihren schwarz-weiß-roten Träumen hätte aufwecken müssen. Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938, die als Reichskristallnacht in die Geschichte eingegangen ist, war ein erstes Alarmsignal und wurde dennoch wieder allzu schnell und leichtfertig vergessen.
Als ich am Morgen des 10. November zur Schule ging, erblickte ich plötzlich auf meinem Weg ein Geschäft, dessen Schaufenster zertrümmert war und dessen Einlagen und Ausstellungsstücke wild durcheinander lagen und von Scherben übersät waren. Vor dem Geschäft standen etwa ein Dutzend Menschen, darunter auch Schulkinder, die alle schweigend auf die angerichtete Verwüstung blickten. Ebenso stumm gingen sie nach einer Weile wieder weiter, mit nachdenklichen Gesichtern. Spätestens jedoch beim zweiten zertrümmerten Geschäft waren sie ebenso erstaunt wie ratlos und wahrscheinlich fragten sie sich, warum diese Verwüstung der jüdischen Geschäfte wohl sein mußte.
Es gab in unserer Stadt ohnehin nur noch wenige jüdische Geschäftsleute, die bisher allen Schikanen zum Trotz ihr Geschäft weiter betrieben hatten. Dies aber bedeutete für sie den endgültigen Zusammenbruch ihrer bürgerlichen Existenz. Doch nicht genug damit, auch ihre Wohnungen wurden verwüstet und sie selbst kurze Zeit später in eins der berüchtigten Konzentrationslager eingeliefert, aus denen es für die meisten kein Entrinnen mehr gab.
Unser Lehrer hatte große Mühe, uns die Notwendigkeit dieser Aktion verständlich zu machen. Dabei verschwieg er uns wohlweislich seine wahren Einsichten und Ansichten, denn als Mitglied der Partei hatte er ja alles gutzuheißen, was geschah. Mit keinem Wort erwähnte er die Niederbrennung der jüdischen Synagoge. Wir Kinder erfuhren erst nach der Schule davon und gingen natürlich hin, um uns auch das noch anzusehen. Längst war das Innere der Synagoge ausgebrannt, das Dach zusammengestürzt, und nur noch schwacher Feuerschein drang durch die leeren Fensterhöhlen nach außen. Allein die verrusten Außenmauern waren übrig geblieben. Später wurden auch sie abgerissen, und übrig blieb ein leerer öder Platz.
Mainz, Alexander: Ein bürgerliches Leben, Erzählung, Aachen 1979, S. 124-125.
10.11.1938
Die „Kristallnacht“ des Juden Moritz Herz im Haus neben der Schmalenburg, Lendersdorf
Augenzeugenbericht des Jungen Josef Pütz, Schmalenburg
„Ich war“, so begann Josef Pütz seinen Bericht, „wie so oft, so auch am frühen Morgen des 10. November 1938 über die Hauptstraße zum Onkel Heinrich gelaufen, der der Schmalenburg gegenüber sein Haus hatte; dort bei dem Onkel und den beiden Tanten konnte ich mich in der guten Stube, die zwei Fenster zur Hauptstraße hatte, durch die ich in diesem Blickwinkel das Geschehen auf der Straße und unsere Schmalenburg (aus dem Jahr 1455) sehen und auch den Metzgerladen von unserem Nachbarn Moritz Herz überschauen konnte, wie zu Hause fühlen.
Es war ein dämmriger, kalter Morgen des 10. November 1938, ziemlich neblich und trübe. Doch in der warmen guten Stube, bei den alten Büchern und Bildern der Familie des Onkels fühlte ich mich wohl und geborgen. Ab und zu schaute ich zum Fenster hinaus, wo plötzlich in der sonst so ruhigen Straße beim Nachbarn Herz, dem Metzger, ein ungewöhnlicher Auflauf von Männern zu sehen war, die in braunen Uniformen, mit Schlagstöcken bewehrt aus einem Lastwagen sprangen. Neben den braunen Nazis – SA-Männern – waren es auch Zivilisten, die z.T. die Schaufenster zertrümmerten, während die anderen in den Laden und die Zimmer stürmten, die Einrichtung zerschlugen, die Familienmitglieder zusammentrieben und wie die Vandalen hausten. Unter fortwährendem Geschrei („Judenschweine, Blutsauger, Abschaum der Menschheit, Unterweltner“ u.a.) tobte sich die losgelassene, wilde Schlägerhorde am Eigentum unseres Nachbarn aus. Irgendein schwerwiegendes Ereignis auf politischer Ebene mußte diese Zerstörungsuwt angeordnet und ausgelöst haben, diesen brutalen, tierischen Vernichtungshaß dfen Juden gegenüber entfesselt haben. Die Mutter Sarah hatte sich noch rechtzeitig über den Hof zu meinen Großeltern und Eltern geflüchtet, wo sie sich – unter schwerem Schock stehend – im hintersten Winkel eines Zimmers verkrochen hatte. Was sich aber im Innern des Hauses Herz alles angespielt hatte, konnte ich erst sehen und aus dem Munde der Insassen vernehmen, als sich der Schlägertrupp nach seiner Raserei wieder verzogen hatte und ich mich mit den Tanten über unsern Hof in das Haus des Nachbarn wagte.
Von den zertrümmerten Fensterscheiben lagen die Scherben vor dem Haus, als hätte ein verheerender Blitz alles zerstört. Die Inneneinrichtung des Ladens und die zerschlagenen Hausgegenstände türmten sich mit Bettzeug und Kleidungsstücken auf der Straße zuhauf und bildeten einen wirren Haufen sinnloser Zerstörungswut. In der Wohnung sah es aus, als sei ein Wirbelsturm durchgerast; das Chaos war unbeschrieblich.
Nun, die Herzfamilie half sich nach dem Vernichtungssturm so gut es ging. Die Fensterhöhlen wurden notdürftig mit Bettüchern verhängt und die Trümmer weggeräumt, wobei wir halfen, soweit es im Geheimen überhaupt möglich war, denn die Spitzel der Partei beargwöhnten jeden, der sich dem Hause Herz näherte. Von unserem großen Hof aus war es schon eher möglich, ungesehen zu der Nachbarsfamilie zu kommen, um etwas Hilfe zu leisten. Aber mit erschreckender Deutlichkeit bewies dieses Zerstörungswerk, wie wehrlos und rechtlos die Juden schon geworden waren und was ihnen noch alles bevorstand. Jeglichen Aufbau und alle Reparaturen mußten die Geschädigten ohne irgendwelche Vergütung aus ihrer eigenen Tasche bestreiten; keine Versicherung durfte zahlen.
Die beiden Eltern, Moritz und Sarah, sahen nach diesem Haßausbruch mit Grausen in die Zukunft und bangten um das Leben ihrer vier Söhne. Da faßten sie einen letzten und schwersten Entschluß: Ihr Haus, ihre Bleibe, die Heimatbindung an die Nachbarn, meine Eltern und Großeltern, zu verkaufen, um wenigstens das Leben ihrert Söhne zu sichern, denn sie wußten, daß sie sie mit gutem Geld zu einem sündhaft teuren Preis freikaufen konnten. Das geschah dann auch. Nachdem sie die hohe Summe aufbringen konnten, wurde der Auswandererantrag gestellt und genehmigt. Die Söhne wurden nach Aachen bestellt, registriert, kahlgeschoren wie Zuchthäusler, gedemütigt, dann aber schließlich abgeschoben und über die Grenze gelassen. Ihr Leben war wenigstens gerettet; Südamerika wurde ihre neue Heimat.
Die Eltern Sarah und Moritz aber wurden unter furchtbarem Druck schikaniert und wie Aussätzige gemieden, schließlich – mit dem Judenstern gekennzeichnet – mit ihren Glaubensgenossen in die Lendersdorfer Mühle getrieben, bis der grausame Exodus kam. Noch war es nicht so weit, aber das Furchtbare würde kommen, so groß war der propagierte Judenhaß, der nur auf ihre endgültige Ausrottung und Vernichtung hinzielte.“
Mit diesen Worten schloß der junge Josef Pütz seinen Erlebnisbericht von der Kristallnacht und der letzten Vertreibung der Familie Herz, seiner Nachbarn.
Dokumentation zur Mahnwache an den Stelen am 9. Nov. 1992, S. 54f.
Juden – in der Mühle zusammengepfercht
In der Nacht, da holte man sie fort,
Pferchte sie ein in die alte Mühle,
Wie schlachtreifes Vieh, mit rüdem Wort,
Roh und kalt, ohne Menschengefühle.
Der Nachbar kannt’ den Nachbarn nicht mehr,
Und dieses nur, weil sie Juden waren.
Ihre Blicke tottraurig und leer.
Was ist in die Menschen nur gefahren?
Ja, viele der „Freunde“, die es wußten,
Was ihren Nachbarn nun stand bevor,
Dass sie ins Vernichtungslager mußten,
kamen in ihr Geschäft, bei Nacht durchs Tor.
Kauften alles, was da war an Sachen,
Sie wußten genau, weshalb und warum.
Morgen wollten sie es „grade“ machen,
St. Nimmerleinstag – der Juden Zeit war ja um.
Ungesehen sie da alles kauften,
Trotz Parteiabzeichen, die Gier war groß.
Was scherte sie der verlorene Haufen,
Der ja doch bald verging, nackt und bloß.
Aus den Augen gingen sie fortan
Den Menschen mit dem Davidsstern.
Der Juden Schicksal keiner wenden kann,
wären sie erst fort, in weite Fern’.
Die braunen Büttel mit blankem Hohn
Trieben sie fort, der Vernichtung entgegen,
Bar jeder Hoffnung, die Elendskolonn’,
Den Abgebrühten kam dies gelegen.
Ausgestoßen, ausgelöscht, ob Fromm, Herz, Roer,
Einfach wie lästiges Ungeziefer,
Ein Volk ausrotten schien nicht schwer.
Und das deutsche Volk sank immer tiefer!
Matthias Gottschalk
Dokumentation zur Mahnwache an den Stelen am 9. Nov. 1992, S. 55f.
Donnerstag, 10.11.1938
Am 10. November 1938, einen Tag nach der berüchtigten „Reichskristallnacht“, erschien auch in Hochkirchen ein Zerstörungskommando der Nazis. Eine Gruppe von Männern überfiel das Haus der jüdischen Familie Lachs/Haase, zertrümmerte das Fenster, zerschlug die Inneneinrichtung und vernichtete die im Geschäft liegende Ware.
Eine größere Anzahl Hochkirchener Bürger stand entsetzt auf der Straße und musste tatenlos zusehen. Wie in ganz Deutschland, wagte auch hier niemand einzuschreiten. Die beiden jüdischen Familien Schwarz blieben von diesem barbarischen Wüten verschont.
Türk, Hochkirchen, zit. nach: Dominicus, Chronik des Amtsbezirks Nörvenich 1932-1946, 2. Aufl. 2005, S. 40
Kaplan Klüttermann [ab September 1936 Kaplan an St. Josef in Aachen] wird persönlich erst nach der Reichspogromnacht mit den Judenverfolgungen konfrontiert. Auf der Stolberger Straße sieht er einen Juden, dem in seiner Wohnung Stolberger Straße 20 die Scheiben zerschlagen wurden, ziellos und verzweifelt über die Straße herumirren. Er spricht ihn an und erkennt in ihm einen Mitschüler aus Linnich. Klüttermann bietet ihm an, im Pfarrhaus zu übernachten, doch der ehemalige Mitschüler nimmt das Angebot nicht an.
Interview mit Geschwister Klüttermann, 17.5.1989, in: Kirschgens, S. 146
11.11.1938
Das Maß ist voll:
Der Volkszorn hat gesprochen
Auch in Düren kam es zu antisemitischen Demonstrationen
Westdeutscher Beobachter, Freitag, 11. November 1938, 2sp
11.11.1938
Judenfeindliche Kundgebungen auch in Düren
Dürener Zeitung, 11.11.1938